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Liquidität neu denken: Instant Payments als Herausforderung und Chance

Die Einführung von Instant Payments markiert einen Paradigmenwechsel im Zahlungsverkehr – und wird damit zum Katalysator für ein grundlegend neues Verständnis des Liquiditätsmanagements.

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Instant Payments, Echtzeitüberweisung

Am 9. Oktober 2025 ist es so weit: Mit dem vollständigen Inkrafttreten der EU-Verordnung zu Instant Payments1 endet die Phase relativer Planungssicherheit im Treasury – und eine neue Ära beginnt. Ab diesem Tag müssen Banken nicht nur eingehende Echtzeitüberweisungen verarbeiten, sondern auch selbst jederzeit aktiv Zahlungen in Echtzeit ausführen können. Rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr. Was auf den ersten Blick wie ein rein technisches Update erscheint, ist in Wirklichkeit ein tiefgreifender Paradigmenwechsel im Liquiditätsmanagement. Denn damit geht es nicht mehr nur um Prozesse, sondern vor allem um Kapitalbindung, Steuerbarkeit und strategische Risikosteuerung.

In diesem Beitrag beleuchten wir, warum Instant Payments (IP) so viel mehr sind als „schnelle Überweisungen“, wie Treasury-Teams diesen Wandel aktiv gestalten können – und warum ein datengetriebenes Prognosemodell entscheidend wird, um Liquidität effizient und Compliance-konform zu steuern.

Echtzeitpflicht: Was sich grundlegend ändert

Bisher war Liquiditätsmanagement in Banken planbar: SEPA-Überweisungen wurden in Batches verarbeitet, Buchungsfenster waren bekannt und das Treasury konnte Abflüsse gezielt steuern – auch durch das bewusste Zurückhalten einzelner Zahlungen. Wochenenden und Feiertage galten als verlässliche „Off-Zeiten“, in denen kaum relevante Liquiditätsbewegungen stattfanden. Ein Monitoring zu festen Zeitpunkten – morgens, mittags, zum Tagesende – reichte häufig aus.

Mit dem Inkrafttreten der neuen Verordnung verschiebt sich dieses Modell grundlegend: Zahlungen müssen nun auch außerhalb der klassischen Arbeitszeiten in Echtzeit ausgeführt werden. Die bisherige Trennung zwischen Tages- und Overnight-Liquidität verschwimmt. Banken müssen also jederzeit – auch nachts, an Wochenenden und an Feiertagen – über ausreichend Liquidität verfügen. Das Treasury wird vom planenden Steuerer zum permanenten Beobachter und Gestalter:

Liquiditätsmanagement wird zur strategischen Daueraufgabe.

Netting und Echtzeitclearing: Effizienztreiber mit Nebenwirkungen

Zusätzlich verschärfen moderne Zahlungsinfrastrukturen wie Echtzeitclearing und Netting basierte Abwicklungssysteme diese Entwicklung. Systeme wie CLS (Continuous Linked Settlement) oder das auf Distributed-Ledger-Technologie basierende CLSNet ermöglichen es, Zahlungsströme zu bündeln, mehrfach am Tag zu verrechnen und so den brutto erforderlichen Liquiditätsbedarf massiv zu senken – bei CLS um durchschnittlich 96 %. Doch dieser Effizienzgewinn hat eine Kehrseite: Die Liquidität wird nicht mehr gleichmäßig über den Tag verteilt benötigt, sondern ballt sich in spezifischen, häufig kurzfristigen Zeitfenstern. Damit steigt die zeitabhängige Volatilität der Liquidität – eine zusätzliche Herausforderung für das Intraday Treasury-Management.

Solche Netting-Runden oder FX-Abwicklungen können durch Marktbewegungen, Clearingzeiten oder operative Verzögerungen zusätzliche Schwankungen erzeugen. Diese Effekte führen dazu, dass Liquiditätspreise – also die Opportunitätskosten und Absicherungskosten für Liquidität – auch Intraday stärkeren Schwankungen unterliegen als in klassischen Batch-Verfahren.

Das Treasury muss daher nicht nur in Echtzeit über bereitgestellte Mittel verfügen, sondern auch zunehmend antizipativ arbeiten: Welche Netting-Zyklen stehen bevor? Welche Märkte sind geöffnet? Wo entstehen kurzfristige Liquiditätsbedarfe durch Settlement oder Compliance-Zeitpunkte?

Liquidität ist kein statisches Gut mehr, sondern wird dynamisch zur strategischen Ressource.

Zahlungsverkehr in Echtzeit, volatile Intraday-Kurven und internationale Netting-Systeme führen somit zu dem eingangs benannten Paradigmenwechsel:

Aus taktischem Liquiditätsmanagement wird ein kontinuierlicher, datengetriebener Steuerungsprozess. Die Fähigkeit, Liquidität auf Stunden- oder gar Minutenbasis flexibel, effizient und sicher bereitzustellen, wird zu einem wesentlichen Wettbewerbsfaktor im modernen Bankbetrieb.

Kapitalbindung: Ein struktureller Kostentreiber

Diese neue Pflicht hat eine klare Folge: Banken müssen dauerhaft größere und anders strukturierte Liquiditätspuffer vorhalten. Konkret bedeutet das:

  • Erhöhte Puffer in Randzeiten: Nicht mehr nur während der Kernarbeitszeiten, sondern auch nachts, an Wochenenden und an Feiertagen.
  • Strukturelle Anpassung des Puffers: Hin zu schneller liquidierbaren Aktiva.
  • Höhere Zentralbankguthaben: Teilnahme an Instant Payments erfordert die Anbindung an Systeme wie TIPS (TARGET Instant Payment Settlement). Das kann dazu führen, dass dauerhaft ein Teil des Liquiditätsmixes in Form von Guthaben bei der Zentralbank vorgehalten werden muss – mit entsprechendem Einfluss auf die Kapitalbindung.
  • Höhere Opportunitätskosten: Das gebundene Kapital fehlt für profitablere Verwendungen wie Kreditgeschäft oder Eigenanlagen.
  • Regulatorischer Druck: Aufsichtsbehörden fordern bereits heute detaillierte Intraday-Liquiditätsreports, Stresstests und Nachweise über Zahlungsfähigkeit. Mit Instant Payments wird dieser Druck noch steigen.

Kurz gesagt:

Liquidität wird zu einem dauerhaften, strukturellen Kostenblock. Banken müssen entscheiden, ob sie diese Kosten durch Effizienzmaßnahmen abfedern oder an Kunden weitergeben.

Echtzeitüberweisung als Stressfaktor für die Zahlungsfähigkeit

Neben den Kosten entsteht eine operative Herausforderung: Echtzeitzahlungen erhöhen die Volatilität der Liquiditätsabflüsse. Typische Stressszenarien dabei sind:

  • Unvorhersehbare Peaks: Beispielsweise, wenn ein Großkunde mehrere hohe Zahlungen ausführt (24/7).
  • Parallele Abflüsse: Mehrere Kunden tätigen gleichzeitig große Instant Payments.
  • Systemweite Effekte: Wenn viele Banken gleichzeitig zahlen müssen, steigt der Druck auf die gesamte Branche.

Früher konnten Cut-off-Zeiten solche Spitzen dämpfen. Heute wirken Abflüsse direkt auf die Liquiditätsreserve. Das bedeutet:

Treasury-Abteilungen müssen schneller, flexibler und datengetriebener reagieren.

Verification of Payment Execution (Verification of PE): Mehr als ein technisches Thema

Ein zentrales Element der Verordnung ist die Pflicht zur „Verification of Payment Execution“. Banken müssen nicht nur Zahlungen auslösen, sondern auch sicherstellen, dass sie korrekt geprüft, bestätigt und ausgeführt werden – in Echtzeit.

Die Folgen für Treasury und Operations:

  • Echtzeitprüfung: Jede Zahlung wird innerhalb von Sekunden auf Plausibilität, Liquidität und regulatorische Anforderungen geprüft.
  • Risikosteuerung: Es muss jederzeit sichergestellt sein, dass genügend Liquidität vorhanden ist.
  • Reputationsrisiken: Fehlschläge bei Zahlungen können Vertrauen beschädigen und Aufsichtsrügen nach sich ziehen.

Liquiditätsmanagement, Compliance und operative Prozesse wachsen damit noch enger zusammen. Wer hier nicht proaktiv steuert, riskiert Mehrkosten und regulatorische Sanktionen.

Vom Batch- zum Echtzeit-Treasury: Anpassungen sind zwingend

Die klassischen Steuerungsinstrumente verlieren an Bedeutung. Stattdessen braucht es:

  • Intraday- statt Tagesend-Management: Liquidität muss permanent überwacht und gesteuert werden.
  • Echtzeit- statt Batch-Reporting: Live-Daten sind entscheidend, um Engpässe frühzeitig zu erkennen.
  • Flexible Limite: Starre Budgets reichen nicht mehr, um auf Volatilität zu reagieren.

Diese Transformation betrifft nicht nur Technik, sondern auch Governance und Kultur. Liquiditätsmanagement wird vom statischen Prozess zum dynamischen Steuerungssystem.

Prognosemodelle und Daten als Schlüssel

Wie gelingt dieser Wandel? Die EZB hat in ihren „Sound Practices“ klare Erwartungen formuliert3:

  • Identifikation zeitkritischer Zahlungen (z. B. Time Sensitive Payments, TSP) und tageszeitspezifischer Verpflichtungen.
  • Echtzeit-Monitoring mit Drill-Down-Funktion: Aggregierte Zahlungsströme und Einzeltransaktionen müssen jederzeit analysierbar sein.
  • Frühwarnmechanismen: Dokumentierte Prozesse, die Liquiditätsengpässe rechtzeitig erkennen.

Ein besonders wichtiger Steuerungsparameter ist dabei die „Largest Net Negative Kumulative Position“ (LNNCP): der rechnerisch größte negative Saldo, der im Tagesverlauf auftreten kann. Auf Basis historischer Daten und Nutzungsszenarien kann so der maximale Liquiditätsbedarf prognostiziert werden. Hinzu kommen Forecasting-Pflichten für verschiedene (Intraday) Zeithorizonte.

Automatisierung, KI und Predictive Analytics

Die technologische Dimension ist nicht zu unterschätzen. Treasury-Abteilungen brauchen:

  • Skalierbare Datenarchitekturen: Um Massendaten in Echtzeit verarbeiten zu können.
  • Analysefähigkeiten: Drill-Downs, Simulationen und Stressszenarien müssen auf Knopfdruck verfügbar sein.
  • Intelligente Prognosen: KI und Machine Learning helfen, Muster zu erkennen und Prognosen laufend zu verbessern.

Das Ziel ist ein lernendes, adaptives Steuerungssystem, das nicht nur reagiert, sondern vorausschauend plant – und so sowohl Kapitalbindung als auch Risiken minimiert.

Strategischer Ausblick: Vom Risiko zur Chance

Auch wenn der Anpassungsdruck groß ist: Instant Payments bieten strategische Chancen. Wer heute investiert, kann Liquiditätsmanagement als Wettbewerbsvorteil nutzen. Einige Ansätze:

  • Detaillierte Analyse historischer Zahlungsströme: Wann treten Peaks auf? Wie stark sind sie?
  • Simulation von Extremszenarien: Was passiert bei Systemstörungen oder Großkundenabflüssen?
  • Flexible Pufferlogik: Weg von pauschalen Reserven, hin zu dynamisch kalkulierten Liquiditätsreserven.
  • Enger Austausch mit Großkunden: Gemeinsame Planung reduziert Überraschungen.
  • Frühe Einführung eines Prognosemodells: Statt reaktiv Engpässe zu managen, proaktiv handeln.

Fazit: Aktiv steuern – Chancen nutzen

Instant Payments verändern das Liquiditätsmanagement grundlegend. Banken müssen nicht nur technische Prozesse anpassen, sondern auch Governance, Risikomodelle und Kultur transformieren. Ein starres, reaktives Modell reicht nicht mehr aus. Stattdessen braucht es datengetriebene, flexible Steuerungssysteme, die jederzeit Zahlungsfähigkeit sichern – ohne übermäßige Kapitalbindung.

Wer dies frühzeitig erkennt und sich perspektivisch entsprechend aufstellt, kann Liquiditätsmanagement als echten Wettbewerbsvorteil nutzen und nicht zuletzt Vertrauen bei Kunden und Aufsicht stärken. Denn am Ende geht es nicht nur darum, Zahlungen schneller und effektiver abzuwickeln. Es geht darum, auch im Echtzeitalter jederzeit zahlungsfähig und handlungsfähig zu bleiben – und genau darin liegt der Schlüssel für nachhaltigen Erfolg.

Quellen
Joerg Isselmann

Jörg Isselmann

betreut bei der msg for banking ag Kreditinstitute in Projekten zu den Themen Bank- und Risikosteuerung (insbesondere Eigengeschäftssteuerung und strategische Fragestellungen) sowie den zugehörigen aufsichtsrechtlichen Anforderungen. Er verfügt über langjährige Praxiserfahrung in globalen Führungspositionen bei Banken und Börsen.

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